»Punk ist Politik«

Das Parlament, 2009

»Im Kleinen kann jeder etwas bewegen«

Silvia Hable ist eine Vertreterin der linken Protestbewegung. Die 25-jährige macht sich stark für ein alternatives Leben und eine gerechtere Weltwirtschaft – hält nichts von Hierarchien und scheut sich auch nicht vor extremen Positionen.

Sie sind 25 – und haben eine Autobiografie über ein Leben geschrieben, das nicht viel ausgelassen hat: an Rebellion, Protest und alternativen Wohnformen, an illegalen Substanzen und Aktionen. Was hat Sie zum Schreiben gebracht?

Als vor ein paar Jahren ein ARD-Film über mich gedreht wurde, der „Ich war das perfekte Kind“ hieß, habe ich mich ein bisschen geärgert. Immer ging es nur um die Ausreißerin, und wie es ihr und ihren Eltern damit geht. Dass hinter meiner Suche nach einem alternativen Leben auch eine politische Idee steckte, kam viel zu kurz. Ich fand es spannend, einen selbstironischen Blick auf diese Suche zu werfen und das Lebensgefühl einer Generation festzuhalten. Es gibt viel mehr Jugendliche wie mich, als die Gesellschaft vielleicht meint. Und es gibt mehr Protest, als behauptet wird.

Als das Buch beginnt, sind Sie 15 und werden in einem bürgerlichen Elternhaus im fränkischen Bad Kissingen groß. Was ist das für eine Person, die so früh beschließt, auszubrechen?

Eine sehr kritische, die lieber hinterfragt als akzeptiert, sehr freiheitsliebend ist und großen Drang hat, die Welt zu erkunden. Und in einer spießigen Kurstadt lebt …

… der vermutlich jeder zweite Jugendliche in der Pubertät entkommen will …

Vielleicht – aber bei mir war das Bedürfnis nach Rebellion ausgeprägter als bei den meisten. Andere haben sich auch einmal betrunken oder mit dem Lehrer angelegt, dann aber schnell wieder die Kurve gekriegt, um sich den Weg ins BWL- oder Lehramtsstudium bloß nicht zu verbauen. Ich dachte sehr tief innen: Es muss mehr geben als den vorgegebenen Weg – also anständigen Beruf lernen, Doppelhaushälfte bauen, Gehsteig fegen, Vorgarten pflegen und am Ende doch um die Rente betrogen werden.

Was ist daran politisch? Viele andere wollen auch nicht in einer Doppelhaushälfte leben …

Am Anfang war das politische Moment tatsächlich weniger ausgeprägt als das Bedürfnis nach Freiheit. Aber jedes Mal, wenn ich Freiheit eingefordert habe, stieß ich an Grenzen. Ich fragte mich: Was sind das für Grenzen, wer legt sie mir auf? Und kam darauf, dass meine Eltern und Lehrer mir vieles, wozu sie mich zwangen, gar nicht erklären konnten – sondern einfach sagten: „Das ist halt so.“ Da dachte ich: „Nein, es nicht ,halt so‘.“ Dass etwas so oder so ist, ist eine kulturelle Gegebenheit, von Menschen entwickelt und gemacht. So etwas kann man ändern.

Und hat das geklappt?

Irgendwie schon. Ich habe zum Beispiel mit Freunden in der Stadt eine Zeitung gegründet und Artikel geschrieben, die Lokalpolitiker gelesen und über die sie sich aufgeregt haben. Und den Lehrern Paroli geboten, weil ich mir einfach gesagt habe: „Mir ist es egal, ob ich von der Schule fliege.“ Schon dadurch hatte die Gegenseite ihr Machtinstrumentarium aufgebraucht. Ich dachte: Wow! Du kannst etwas bewegen, kannst dich deinen Unterdrückern widersetzen! Es sind kleine Dinge, die einen mit 15 prägen. Mit linksemanzipatorischer Politik hat das nichts zu tun.

Und wie wurde es dann „linksemanzipatorisch“?

Bei einem Ausflug nach Frankfurt drückte mir jemand ein Flugblatt gegen die Ausbeutung in der Dritten Welt in die Hand. Plötzlich wurde mir klar, dass es größere Unterdrückung gibt als jene, die ich in der Schule erlebe. Ich begann Leute zu suchen, die sich engagieren, und stieß auf ganz viele anarchistische und libertäre Gruppen, die Ausbeutung anprangern und eine gerechtere Welt wollen. Etwa zur gleichen Zeit fuhr ich zu einer Anti-Nazi-Veranstaltung nach Hammelburg. Am Abend vor einer NPD-Demo sollte eine Lichterkette stattfinden. Ich traf ein paar Punks, die sagten: „Dieser bürgerliche Protest, am Freitag Lichter anzuzünden, wenn Samstag die Nazis marschieren, ist Quatsch. Wir müssen uns denen in den Weg stellen!“ Direkte Aktion statt Symbolik – das hat mir sofort eingeleuchtet. So wurde ich politisch und tauchte in die Punkszene ein.

Seit wann ist Punk politisch?

Man muss da unterscheiden: Es gibt Punks, die sich augenscheinlich aufgegeben haben, zumindest in dem System, in dem wir jetzt leben, und der „No Future“-Ideologie anhängen. Sie saufen und leben in den Tag hinein, alles ist ihnen egal, im Zweifel sogar, ob sie sterben. Aber es gibt auch politische Punks, die auch mit neuen sozialen Bewegungen zusammenarbeiten. Sie verwalten autonome Jugendzentren, geben Zeitschriften heraus, kochen in veganen Volksküchen und helfen bei der Organisation von Protestcamps, wie wir sie zum Beispiel in Heiligendamm gesehen haben.

Welche politischen Ziele verfolgen sie?

Die Szene ist sehr heterogen, es gibt sogar Ökopunks. Was die meisten eint, ist der Kampf für eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und Hierarchien, in Freiheit und dem Anarchismus verhaftet. Was in der politischen Aktion noch auffällt ist: Punks sind häufig die Kompromissloseren, Mutigen. Das ist ja auch logisch. Wer nichts zu verlieren und keine parteilichen oder anderen Verpflichtungen hat, traut sich mehr. Und lässt sich nicht so leicht unterdrücken.

Was heißt denn „mutig“? Eine der meistzitierten Zeilen deutschen Punks lautet: „Bomben bauen, Waffen klauen, den Bullen auf die Fresse hauen.“ Ist Gewalt ein legitimes Mittel politischer Auseinandersetzung?

Ich selbst habe nie Steine geworfen. Kreativer Widerstand ist viel interessanter, integriert viel mehr Menschen – und es ist wichtig, auch die Oma von nebenan und das Baby bei seinen Aktionen dabeihaben zu können. Grundsätzlich würde ich auf die Frage wie die meisten in der Szene antworten: Solange der Staat Gewalt ausübt und zum Beispiel durch seine Abschottungspolitik an den EU-Außengrenzen wissentlich Menschen umbringt, hat auch die Gegenseite das Recht auf Gewalt. In der Regel richtet die sich ja gegen Dinge: Schaufenster oder Symbole des Kapitalismus zum Beispiel.

Oder aber gegen Polizisten, Väter kleiner Kinder …

Am Ende würde ich nie gegen einen Menschen losgehen. Aber ich finde es auch berechtigt zu fragen: Welchen Handlungsspielraum zwischen Mensch und Maschine hat jemand? Wie verhält er sich und warum wird jemand Polizist? Sitzt er nicht immer am längeren Hebel? Und: Wenn es niemanden mehr gäbe, der das Gewaltmonopol des Staates verteidigt, müssten die Eliten ihre Pfründe selbst verteidigen. Dazu wäre diese Minderheit natürlich nicht in der Lage – das System wäre am Ende. Außerdem habe ich auch die Staatsmacht als repressiv und gewalttätig erlebt: Ich bin unschuldig verurteilt worden, weil ich eine Vitrine eingeschlagen haben soll, an die ich schon wegen meiner Größe nicht herangekommen wäre. Ich musste mich auf Polizeiwachen nackt ausziehen und meine Genitalien begutachten lassen. Ich kann mich im Nachhinein wehren und ein Buch schreiben. Aber was ist mit Immigranten und Flüchtlingen, Menschen im Abschiebeknast, die keine Stimme haben?

Nach zehn Jahren politischem Aktivismus: Was sind Ihre zentralen Anliegen?

Ich sehe die Ernährungssituation als das größte Problem derzeit: Das Weltagrarsystem samt seiner von den Industrienationen und der Europäischen Union betriebenen Subventionspolitik treibt Millionen in Armut und schlimmstenfalls in den Hungertod. Und es setzt eine Kette katastrophaler Folgen in Gang: Es befördert die Klimakatastrophe; die produziert Klimaflüchtlinge; darauf reagiert die EU mit repressiver Immigrationspolitik; die hat mehr Repression innerhalb der Gesellschaft zur Folge und ein Ansteigen
von rassistischen Tendenzen.

Und wie wollen Sie dagegen vorgehen?

Im Kleinen kann jeder etwas bewegen: Nicht bei Supermärkten einkaufen, die Pestizide mitverkaufen, ihre Mitarbeiter bespitzeln und ihr Obst tausende Kilometer weit einfliegen zum Beispiel. Und, um nicht nur gegen, sondern auch für etwas zu sein: Stadtteilgärten einzurichten, in denen das Obst und Gemüse für die Menschen im Kiez angebaut wird. Andererseits ist es auch wichtig, Druck auf die internationalen Organisationen sowie die Bundesregierung und die Europäische Union auszuüben. Nur durch ein verändertes Einkaufsverhalten werden wir die nötigen Veränderungen nicht herbeiführen. Das Motto der 80er Jahre gilt immer noch: Global denken, lokal handeln!

Viele probieren dies nur sehr vorübergehend. In Ihrem Buch beschreiben Sie gleich mehrere dieser Figuren: Der eine verkippt als Jugendlicher wütend „kapitalistische Cola“ und verkauft sie als Erwachsener in einem Getränkemarkt …

Natürlich gibt es Enttäuschungen. Man darf aber auch nicht vergessen dass ein alternatives Leben nicht zu 100 Prozent möglich ist. Ich muss mein Buch schließlich auch verkaufen – obwohl ich es viel lieber verschenken würde.

Und was macht Ihnen Mut?

Der Protest beim G-8-Gipfel in Heiligendamm zum Beispiel: 10.000 Menschen haben die Straße blockiert, 100.000 demonstriert. Sogar die mediale Resonanz war positiv! Das hat die ganze Szene wieder mehr vernetzt und gab den Startschuss zu weiteren großen Aktionen. Dass mehr als 50.000 Menschen eine Petition für die Einführung des Grundeinkommens unterzeichnen zeigt zudem, dass der Wunsch nach Veränderung bis in die bürgerliche Mitte reicht. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass künftig mehr Leute ihren Kindern andere Werte als Geld und Wirtschaftswachstum vermitteln. Das ist es, was wir brauchen: Neue Werte für ein solidarisches Miteinander.

In ihrem Buch stellen Sie größere Anforderungen! Da heißt es: „Ein wirklich alternatives Leben baut auf einem nicht angepassten Alltag auf, in dem es all das zu vermeiden gilt, was gemeinhin erwartet wird: etwa eine geregelte Arbeit, ein Mietvertrag, eine gemütliche Wohnungseinrichtung.“

Nun ja – ich musste das etwas zuspitzen, das Buch hat schließlich einen ironischen Anspruch! Aber es steckt ein wahrer Kern drin. Wenn ich ein schönes Haus mit schöner Einrichtung habe, führt das dazu, dass ich meinen Arbeitsplatz nicht aufs Spiel setzen darf und alles tun muss, was man von mir verlangt. Verbürgerlichung macht immobil und unflexibel – mobile Menschen sind viel gefährlicher für die Eliten als die ruhiggestellten.

Das Interview führte Jeannette Goddar

Silvia Hable: Augen zu, gilt nicht.
Auf der Suche nach einer gerechteren Welt.
(Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009)