Der Talkshow-Mann

Berliner Morgenpost, 18.3.2002

Der Mann hinter den Talkshows

Walid Nakschbandi ist der Chef von Friedman, Böhme, Späth – und am liebsten immer unterwegs.

knoke1a Walid Nakschbandi mag keine Schränke. Er baut lieber Stapel. Akkurate Stapel aus Büchern, Textmanuskripten, Videokassetten – sie wachsen an den Wänden seines Büros entlang. Alte Projekte, neue Projekte: „Talk im Turm“, „Grüner Salon“, „Späth am Abend“ und „Friedman“, der neue Roman von Philip Roth, den Moderatorin Alice Brauner in der Literatursendung „Seite 17“ vorstellen will. Und viel Papierkram. „Meine Sekretärin und ich“, behauptet Nakschbandi fröhlich, „finden immer sofort alle wichtigen Dinge, die wir brauchen.“ Und seine dunklen Augen blinzeln hinter dem schwarzen Brillengestell.

Seit neun Jahren ist der 33-Jährige gebürtige Afghane mit der Berliner TV-Produktionsfirma AVE verbandelt – erst als Redakteur beim „Talk in Berlin“-Vorgänger „Talk im Turm“, später als stellvertretender Geschäftsführer, seit zwei Jahren als Geschäftsführer. Im Laufe der Zeit sind naturgemäß viele Dinge zusammengekommen: unter anderem Dutzende regelmäßiger TV-Formate – Polit-Talkshows, Kultursendungen, Dokus. Nakschbandi ist der Mann hinter Erich Böhme, Lothar Späth und Michel Friedman und richtet durchweg anspruchsvolle TV-Kost für Sender wie n-tv, 3Sat, Arte, ARD und ZDF an. Keine Quotenbringer, sondern klassische Bildungsbürgerformate.

Wenn Nakschbandi sagt, dass er keine Schränke mag, ist das übrigens nur die halbe Wahrheit. Sein Terminkalender ist einfach so knüppelvoll, dass er gar keine Zeit hat, sich welche zu kaufen. Den größten Teil seiner Arbeitswoche verbringt er ohnehin nicht in seinem Büro in der Schützenstraße in bester Mitte-Lage, sondern im Flugzeug. Er düst zwischen den Produktionsorten hin und her: Von „Vorsicht! Friedman“ in Frankfurt zur Aufzeichnung von „Klassisch!“ mit Senta Berger nach München. Und von dort aus wieder zurück nach Berlin. „Bei den Aufzeichnungen“, sagt er, „bin ich immer dabei.“ Will der Mann denn alles selbst kontrollieren? Er lacht: „Sie mögen mich für verrückt halten. Aber es macht mir Spaß, morgens um halb sechs aufzustehen, eine Stunde später im Flieger zu sitzen und mit viel Arbeit meinen Tag zu verbringen.“ Man glaubt es ihm. Dass er die Dinge gerne im Griff behält, kann man sich allerdings auch gut vorstellen.

knoke1 Mit seiner Arbeit, sagt Nakschbandi, könne er sich „eben hundertprozentig identifizieren.“ Und seine 62 Mitarbeiter auch, fügt er hinzu. Er gehört zu den Leuten, die Langschläfern und Phlegmatikern mit ihrer Duracell-Häschen-Energie die gute Laune verderben. Wo andere Pause machen, trommelt er weiter. Dazu passt, dass er nicht nur Politologie bis zum Diplom studiert hat, sondern zusätzlich noch Jura bis zum ersten Staatsexamen draufgesetzt hat. Danach kam ein Volontariat bei Sat.1. Wenn man im Gespräch mit Nakschbandi bei seiner Vita angelangt ist, kommt man am Thema Afghanistan nicht vorbei. Er scheint zu erwarten, dass man fragt. Weil ihn, erklärt er, in den letzten Monaten schon so viele, vor allem Talkshowmacher, zum Experten für ein Land erklären wollten, dass er im Alter von acht Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern verlassen hat. „Ja, ich habe eine Meinung zu dem Thema, zu dem Land, zu Kabul, wo ich geboren bin. Aber die will ich nicht vor Fernsehkameras darlegen und eine Tournee durch die Talkshows machen“, sagt Nakschbandi, der Talkshowproduzent.

Nein, er bezieht lieber schriftlich Stellung: Kürzlich schrieb er für die „Süddeutsche Zeitung“ eine Geschichte über einen afghanischen Medizinstudenten, der nach etlichen Jahren in Deutschland wieder in seine Heimat zurückkehren will. Doch ansonsten: „Stellen Sie mir lieber Fragen über das Rheinland, da kenne ich mich besser aus.“ In Bonn und Solingen ist er aufgewachsen und zur Schule gegangen. Und betrübte seine Eltern schwer, weil er keinen „anständigen Beruf“ annehmen, sondern statt dessen ins TV-Geschäft einsteigen wollte.

Er hätte es sicherlich schlechter treffen können. Seit Firmengründung, Mitte der 80-er Jahre, schreibt AVE angeblich schwarze Zahlen. Genauen Umsatz und Rendite der zur Verlagsgruppe Holtzbrinck gehörenden Produktionsfirma gibt Nakschbandi nicht preis. Branchenberichten zufolge lag der Umsatz im Jahr 2000 bei 37 Millionen Mark, womit AVE unter den ersten 20 des Gewerbes liegt. Eines der ersten Erfolgsformate war „Talk im Turm“ mit Erich Böhme, das von 1990 bis Anfang 1999 sonntags auf Sat.1 mit Spitzenquoten von 17 Prozent lief, dann aber der Programmverjüngung zum Opfer fiel. Damals saß AVE noch in Müchen, die Töchter Zeit TV und Spectrum TV hatten in Bremen und Hamburg ihren Sitz. Macroscope Film, das jüngste AVE-Kind, kam erst nach dem Umzug nach Berlin, vor vier Jahren, hinzu und produziert hauptsächlich für Arte: Porträts und Beiträge für das Kulturmagazin „Metropolis“. Auch die übrigen Sparten sind klar aufgeteilt: AVE macht die Polit-Talks, Spectrum TV ist für Kultursendungen wie „Seite 17“ und „Klassisch“ zuständig. Und Zeit TV liefert Dokus über Zeitgeschichte und Politik.

Was fehlt noch im AVE-Bouquet? Ein Medienmagazin zum Beispiel. „Ja, so etwas ist in Arbeit.“ Über das Wie und Wo will Nakschbandi aber noch nichts sagen. Wer die anderen AVE-Produkte kennt, kann sich allerdings ausmalen, dass das Projekt sicherlich kein Neuaufguss von Dieter Mohrs „Canale Grande“ wird. Ulk und Satire überlässt Nakschbandi beruflich anderen. Privat hat er nichts dagegen. Und damit wären wir beim dritten und letzten Grund, warum es in Nakschbandis Büro keine Schränke gibt: Es wäre sonst kein Platz mehr für das überdimensionale Gemälde von Queen Elizabeth, das als moderne Interpretation der britischen Monarchin an der Wand lehnt – schräg gegenüber von einem ebenfalls ziemlich eigenwillig umgesetzten Otto von Bismarck. Ist Walid Nakschbandi etwa Royalist? Er lacht und meint dann: „Die Queen ist eine tolle Frau. Ich bewundere ihre Stärke und Energie.“

Foto: Engler