Auf nach Albanien

Frankfurter Rundschau, 2007

Baden am Balkan

Urlaub in Albanien? Warum nicht. Hier gibt es eine Riviera, Alpen – und Urlauber sind kaum so willkommen wie an einem anderen Ort

Der freundliche Grieche kurz vor der Grenze traute seinen Ohren kaum „Sie müssen nach Albanien?“, fragte der Herr, reichlich ungläubig. Tag für Tag blickt der Besitzer des nordgriechischen Berghotels auf die albanischen Gipfel auf der gegenüber liegenden Seite des Tales. Und war doch noch nie dort. Nein, niemand muss nach Albanien. Aber jeder darf. Lange Zeit war das nicht so: Keiner der europäischen Sozialisten schottete sein Land annähernd so rigide ab wie der albanische Diktator Enver Hoxha, der bis zu seinem Herzversagen im Jahr 1985 an der Spitxaze des Landes stand.

Ohne Unterlass wanderte der Lichtkegel der Überwachungsscheinwerfer der Armee einst über die Meerenge zwischen der albanischen Südküste und den feindlichen griechischen Inseln. Damit keiner in den Westen verschwinden, aber auch, so muss man aus Sicht des paranoiden Ex-Diktators wohl annehmen, damit das Böse nicht in die heile sozialistische Welt geschwommen kommen konnte.

Heute sind es allenfalls die Blicke der Einheimischen, welche über das Meer schweifen. Sie halten Ausschau nach der ersten Fähre von Korfu. Es ist neun Uhr morgens und in der kleinen Hafenstadt stehen alle Zeichen auf Erwartung neuer Gäste. Überall an der mehr als ein Kilometer langen Strandpromenade huschen Serviererinnen und Kellner über Terrassen, wischen Tische und richten Sonnenschirme. „Diese Fährverbindung bedeutet sehr viel für uns“, sagt Eduard Ahmeti, der Besitzer des Cafes am hochmodernen Fährterminal, während er die letzte gespülte Kaffeetasse ins Regal stellt. Er war 30 Jahre lang Hafenarbeiter, bevor er die ermüdende Arbeit gegen den Job hinter dem Tresen tauschte. „Wir Albaner haben harte Zeiten hinter uns. Jetzt hoffen wir auf die Zukunft.“ Nirgendwo in Albanien haben sich die Menschen so sehr einer Zukunft als touristische Destination verschrieben wie in Saranda. Baugerüst reiht sich an Baugerüst, Rohbau an Rohbau. So mancher, der den Abzug der Maler gar nicht erwarten kann, hat schon einmal mit der Hand „Hotel“ an die Tür geschrieben, hinter der noch gearbeitet wird.

Und tatsächlich: In der Hochsaison, wenn Korfu aus allen Nähten platzt, klettern die Gäste scharenweise aus den Tragflächenbooten, die zweimal am Tag die Meerenge überwinden. Sie kommen, um die antiken Ausgrabungsstätten von Butrint zu besuchen oder um von der Promenade aus aufs Meer zu blicken. Und die allermeisten sind überrascht, wie angenehm es sich hier leben lässt, in Albanien: Unter Palmen und bei italienischer Pizza und Espresso kann man mindestens genauso gut Urlaub machen wie in Griechenland – und zwar für einen Bruchteil des Preises. Jeder Albaner, der auch nur ein paar Worte englisch spricht, wird diese gern für einen Plausch mit Touristen bemühen. Und jeder Taxifahrer wird nichts unversucht lassen, dafür zu sorgen, dass man wiederkommt. Oder, noch besser: nicht am Abend schon das Schiff zurück nach Korfu nimmt. Gründe, ein bisschen in Albanien zu verweilen, gibt es genügend. Wer Saranda verlässt und den Bus nach Tirana nimmt, vergisst schnell den mystischen Ruf, der ihn vielleicht hierhin lockte, und blickt über mehr als hundert Kilometer voller Entzückung hinunter auf die „albanische Riviera“.

Über neun Stunden schleppt sich der Bus zurzeit noch von Saranda über den mehr als 1 000 Meter hohen Llogara-Pass und durch zahllose Schlaglöcher nach Tirana – aber jeder Blick aus dem Fenster entschädigt für die Tortur. Bucht für Bucht führt die Straße an unberührten Stränden entlang, an die sich bisher noch kaum ein Hotelbesitzer niedergelassen hat.

Am Ende der Busreise entpuppt sich die Hauptstadt Tirana als pulsierende europäische Großstadt. Mit einem bunten Mix aus osmanisch-herrschaftlichen Gebäuden und sozialistischen Plattenbauten, von denen viele in den vergangenen Jahren in poppigen Farben angemalt wurden. Mit Museen und Parks und einem turbulenten Ausgehviertel mitten im ehemaligen Quartier der Parteibonzen. Auch hier rüstet man sich schon für den Tourismus: Der neue Flughafen kann ein Vielfaches der Passagiere seines Vorgängers bewältigen – und wird in diesem Sommer bereits zum zweiten Mal auch einmal wöchentlich von der deutschen Billigfluglinie Germanwings angesteuert. Und dann gibt es noch die „albanischen Alpen“. Nicht zuletzt mit Hilfe der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GTZ, die unter anderem den Ausbau von Privathäusern zu kleinen Familienpension unterstützt, wird die Bergregion im Norden des Landes touristisch erschlossen. Und vor allem: erst einmal kartiert. Bis vor wenigen Jahren galt die Grenzregion zu Serbien und dem Kosovo für Reisende als unsicher. Bald könnte sie eine echte Alternative für Alpen-Wanderer werden.

Dass dem einstigen Armenhaus Europas eine Zukunft mit ganz neuen Einnahmequellen bevorsteht, vermuten auch die Statistiker: Das Wirtschaftsforschungsinstitut Oxford Economic Forecasting (OEF) sieht Albanien als eines von zehn Ländern weltweit, deren Tourismus-Industrie mit jährlichen Wachstumsraten bis zu zehn Prozent rechnen kann. Bereits im vergangenen Jahr wurden mit 600 000 Ankünften von Ausländern fast ein Drittel mehr gezählt als 2005. Die meisten kommen immer noch als Nachbarn oder Verwandte aus dem Kosovo oder Mazedonien. Aber die Zahl der Westeuropäer steigt. Auf Platz drei und vier stehen Italiener und Griechen, auf Platz fünf die Briten. Dann kommen die Deutschen: 22 545 Deutsche wagten sich 2006 nach Albanien vor, zwei Drittel mehr als 2005.

Doch bei aller Hoffnung gibt es auch viel Skepsis und die Befürchtung, dass die Visionen scheitern. „Wer soll in all die Zimmer einziehen?“, fragt etwa die Rezeptionistin in Sarandas bisher einzigem Fünf-Sterne-Hotel, das im vergangenen Jahr von den albanischen Besitzern an einen saudischen Investor verkauft wurde. 

Früher, sagt die 26-Jährige, sei Saranda ein Idyll gewesen: „Und heute, sehen Sie, überall Ruinen!“ Tatsächlich ist bei vielen Rohbauten nicht ersichtlich, wo aktiv gebaut wird und wo nicht. Bis heute wird in Albanien mit harten Bandagen um ungeklärte Landrechte gekämpft. Immer wieder fangen Leute, denen es nicht passt, dass ihnen dieser oder jener Grund nicht gehört, einfach an zu bauen. Wenn ihnen das verboten wird oder das Geld ausgeht, lassen sie den Betonklotz stehen und verschwinden. Auch Eduard Ahmeti ist sich alles andere als sicher, dass die Zukunft so rosig wird, wie viele denken. Weil das Hafen-Cafe für ihn und seinen Partner heute noch nicht genug Geld abwirft, jobbt er nebenbei an einer Tankstelle. „Das machen alle hier“, sagt er, während er seinen weißen Mercedes zu seinem Zweitjob lenkt, „wir hoffen und hoffen und warten auf bessere Zeiten. Bis dahin arbeiten wir hart, leben auch ein bisschen über unsere Verhältnisse. Vor allem aber sind wir heilfroh, dass die einsamen Zeiten in der Isolation vorbei sind“